Freie Ärzteschaft Mitteilung zur elektronischen Patientenakte vom 02.12.2024
Massive Kritik an elektronischer Patientenakte (ePA) von
Datenschützer, Forschungsexperte und Ärzteschaft
Kurz nach der Verkündung von Gesundheitsminister Lauterbach, er „sei schon im
Gespräch mit Meta, Open AI und Google“, um den Konzernen die Nutzung der
Krankheitsdaten der deutschen Bevölkerung für ihre kommerziellen Zwecke zu
ermöglichen, fand Ende November in Berlin der Jahreskongress der Freien
Ärzteschaft statt, bei dem ganz andere Töne zu hören waren.
Diplominformatiker Prof. Ulrich Kelber äußerte als ehemaliger
Bundesdatenschutzbeauftragter auf dem Kongress schwere Bedenken gegen die „ePA für
alle“ in der jetzt vorgestellten Form. Auf das Gesundheitswesen komme nun eine
unvollständig getestete „tiefgrüne Schrumpelbananensoftware“ zu, die in den Praxen reifen
solle. Als „bekennender Fan der Digitalisierung“ kritisierte Kelber Sicherheitslücken, veraltete
Technikkomponenten, die zentrale Datenspeicherung und die jetzige Opt-Out Regelung. Man
bräuchte einen „akuten Behandlungsplan und eine Langzeitbehandlung“ für das TI-Projekt.
Allerdings sehe er weder bei der jetzigen und bei möglichen zukünftigen Bundesregierungen,
dass ein Umsteuern in die richtige Richtung geplant sei.
Abschaffung der ärztlichen Schweigepflicht
Mit Blick auf die Sichtweise von Ärzten und Psychotherapeuten referierte Dr. Silke Lüder,
Fachärztin für Allgemeinmedizin und Stellvertretende Bundesvorsitzende der Freien
Ärzteschaft, vor allem über neue juristische Fallstricke, weil die „ePA für alle“ die
berufsrechtlich und strafrechtlich fixierte Schweigepflicht für Ärzte und Psychotherapeuten
unter den Bedingungen der Opt-out-Regelung faktisch abschaffe. In Zukunft, so Lüder,
könnten 2 Millionen Mitarbeiter des deutschen Gesundheitswesens durch die neuen
Zugriffsregelungen einfach die ganze Krankengeschichte eines Bürgers lesen. „Nur nach
dem Einlesen der Versichertenkarte in der Apotheke beim Einlösen eines E-Rezepts kann
das ganze Team dort 3 Tage lang alle Arztbriefe lesen! Ein Unding“, so Lüder in Berlin.
Profit statt Gesundheits-Benefit im Fokus?
Als ausgewiesener Forschungsexperte äußerte sich Prof. Dr. Jürgen Windeler, bis vor
Kurzem Leiter des IQWIG (Institut für Wirtschaftlichkeit und Qualität im Gesundheitswesen)
zur Behauptung der Politik, dass der künftige Datenberg aus den Versorgungsdaten der ePA
einen Quantensprung für die medizinische Forschung erzeugen würde. „Bei Entscheidungen
in einem Gesundheitssystem geht es in allererster Linie um die Frage, ob diese
gesundheitliche Verbesserungen für die Betroffenen bringen. Die Vorteile sind gegen
Nachteile (Nebenwirkungen) abzuwägen.“ Das sei mit den Abrechnungsdaten und
unsortierten ePA-Daten nicht möglich, so Windeler. Falsche Versprechungen brächten die
Gefahr, Prozessverbesserungen zu vernachlässigen.
Täuschung von Patienten und Ärzten!
Alle Referenten kritisierten scharf die augenblicklich laufende Werbekampagne von Politik
und Kassen für Versicherte und Öffentlichkeit. „Die Werbekampagne suggeriert, dass es bei
der künftigen Krankheitsdatensammlung nur um die Verbesserung der medizinischen
Behandlung gehe. Dabei zeige sich jetzt gerade, dass eher der Verkauf unserer Daten an die
Monopolisten Meta, Open AI und Google das vorrangige Ziel sei“, so Lüder in Berlin. Die
Allgemeinmedizinerin prangerte zudem an, dass sich Kassenärztliche Bundesvereinigung und Bundesärztekammervorstand völlig unkritisch an der Werbekampagne beteiligten, statt
sich aktiv um den Schutz der ärztlichen Schweigepflicht und der grundrechtlich geschützten
informationellen Selbstbestimmung der Bürger zu kümmern.